Kaum ein Baustoff vereint technische Innovation, gestalterisches Potenzial und ökologische Herausforderungen so deutlich wie Glas. Im Interview spricht Dr. Anne Braune, Abteilungsleiterin Forschung & Entwicklung bei der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB), über die Rolle von Glas im ressourcenschonenden Bauen – zwischen energieoptimierter Nutzung, Recyclingfähigkeit und Rücknahmesystemen.
Welche Bedeutung messen Sie dem Baustoff Glas im Kontext des nachhaltigen Bauens bei – insbesondere im Hinblick auf Energieeffizienz, Lebenszyklus und Wiederverwendbarkeit?
Dr. Anna Braune: Glas steht absolut im Fokus von Nachhaltigkeitsanforderungen und spielt eine vielseitige Rolle im Kontext des klimabewussten Bauens. Eingesetzt als Werkstoff in Fassaden hat Glas großes Potential, die Energieeffizienz von Gebäuden zu verbessern. Mit der technischen Weiterentwicklung ihrer Produkte und Systeme hat die Branche diesen Punkt seit vielen Jahren im Blick und bereits gute Fortschritte erzielt, die weitergeführt werden sollten. In Zeiten kontinuierlich steigender Temperaturen, bedingt durch den Klimawandel, wird der sommerliche Wärmeschutz auch in unseren Breitengraden extrem wichtig. Der Aufwand, Gebäude zu kühlen ist nicht nur teuer und energieintensiv, sondern auch klimaschädigend. Hier kann im Bereich von Wärmeschutzverglasung ein wichtiger Beitrag geleistet werden.
Zwar ist Glas ein langlebiges Material, betrachtet über den Lebenszyklus gibt es in der Handhabung zur Weiter- und Wiederverwendung sowie der Nachnutzung jedoch Luft nach oben. Hochspezialisierte Lösungen sehen häufig nur den einmaligen Einsatz der Produkte vor, Rücknahmesysteme sind noch die absolute Ausnahme. Wiederverwendung scheint für viele Praktiker nur in Ausnahmefällen möglich. Dabei gibt es bereits Beispiele, die zeigen, wie gut die Wiederverwendung ganzer Glaselemente funktionieren kann. Hier erwarte ich noch wesentlich mehr Engagement und Produktverantwortung seitens der Herstellerunternehmen.
Was muss passieren, damit die Glasindustrie einen aktiven Beitrag zur Transformation des Bauens leisten kann? Wo liegen aktuell die größten Hindernisse – und wo eröffnen sich neue Chancen?
Dr. Anna Braune: Ganz grundsätzlich muss, wie in allen Bereichen der Bauprodukteherstellung, von den Verantwortlichen endlich eine echte Kreislaufwirtschaft umgesetzt werden. Das beginnt beim Recycling des Werkstoffs, geht über den Aufbau der dafür notwendigen Logistik und endet bei der Einführung von Rücknahmesystemen. Obwohl zu 100 Prozent wiederverwertbar, findet Glas als Recyclingmaterial erst allmählich Beachtung. Dabei hat der Werkstoff aufgrund seiner physikalischen Eigenschaften und seiner Recyclingfähigkeit viel Potenzial ohne Qualitätsverlust im geschlossenen Kreislauf geführt zu werden. Das ist nicht nur ein wichtiger Beitrag zum klimaschonenden Bauen, sondern kann auch die wirtschaftliche Verfügbarkeit langfristig sichern.
Die Glasindustrie muss Verantwortung für ihre Produkte über den gesamten Lebenszyklus hinweg übernehmen und kreislauffähige Lösungen auch für die Zukunft anbieten. Transparente Angaben zur Zirkularität sind dabei ebenso entscheidend wie die Bereitstellung von EPDs (Environmental Product Declarations). Die standardisierten Dokumente liefern detaillierte Informationen über die Umweltwirkungen eines Produkts im gesamten Lebenszyklus.
Die Hindernisse für eine entschiedene Weiterentwicklung scheinen meist in den Unternehmen selbst zu liegen. Eine langfristige Sicherung der notwendigen Ressourcen hat aktuell noch ebenso wenig Relevanz wie die sehr hohe, umwelt- und klimaschädigende Energie- und CO2-Intensität ihrer Produkte bei der Herstellung. Kunden dagegen sind längst bereit für nachhaltigere Lösungen. Viele haben begriffen, dass noch mehr Raffinesse, Technik und Aufwand kein Produkt für ihre zukunftsfähig geplanten Gebäude hervorbringt. Die große Ausnahme in puncto Technik liegt in fassadenintegrierter Photovoltaik als zukunftsweisender Ansatz, der die Energieproduktion direkt in die Architektur von Gebäuden integriert und auch aufgrund der Solarverpflichtung in der europäischen Richtlinie EPBD (Energy Performance of Buildings Directive) an Nachfrage gewinnen wird.
Welche Impulse haben Sie von der glasstec 2024 mitgenommen – und welchen Beitrag kann die Leitmesse leisten, um den Wandel in Richtung nachhaltiges und zirkuläres Bauen branchenübergreifend voranzutreiben?
Dr. Anna Braune: Zur glasstec 2024 habe ich die Nachricht, dass das Recycling von Fenstern technisch endlich möglich ist als positiv wahrgenommen. Aufgrund der oben genannten Punkte muss dieses Verfahren dringend von der Industrie ernst genommen und skaliert werden. Wie alle anderen Ressourcen ist auch Glas zu wertvoll und energieintensiv produziert, um es zu verschwenden.
Ganz allgemein sollten die Organisatoren von Messen Nachhaltigkeit und Ressourcenschutz prominent als Leitthemen setzen und Aussteller dazu anhalten, die Themen im eigenen Tätigkeitsfeld ehrlich zu beleuchten. Hinzu kommt die Kennzeichnung besonders engagierter Aussteller im Vorfeld aber auch während der Messe. Die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen kann beispielsweise als Anlaufstelle für Besuchende dienen, um einen allgemeinen und unabhängigen Überblick zu den Themen rund um das nachhaltige Bauen zu geben. Zudem könnten die Stände von Herstellerunternehmen, die es nachweislich ernst meinen, entsprechend gekennzeichnet werden. Diese Maßnahmen haben sich bei Messen, an denen die DGNB regelmäßig teilnimmt, bewährt.
Generell haben Messen und Ausstellungen allgemein einen hohen gesellschaftlichen Wert. Sie vermitteln Wissen, regen zur Auseinandersetzung an und schaffen Raum für Begegnung.