In Ihrem Vortrag auf der glasstec 2024 sprachen Sie über KI-optimiertes Glasrecycling. Welche konkreten Anwendungen von KI sehen Sie derzeit in der Branche und welche Potenziale bleiben noch ungenutzt?
Thomas Wesian: „Künstliche Intelligenz (KI) hat – wie in vielen Lebens- und Arbeitsbereichen – auch im industriellen Glasrecycling an Bedeutung gewonnen. Die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig, und das tatsächliche Potenzial wird erst allmählich erkannt und genutzt.
Aktuell lassen sich zwei zentrale Anwendungsfelder von KI im Glasrecycling identifizieren. Zum einen ermöglichen datengesteuerte Handlungsempfehlungen, basierend auf zuvor gesammelten Betriebsdaten, wertvolle Einblicke. Mithilfe von KI werden diese Daten analysiert, um Maschinen- und Anlagenbetreiber im täglichen Betrieb durch gezielte und datenbasierte Empfehlungen zu unterstützen. Dies kann beispielsweise die Prozesssteuerung, die Verbesserung der Anlageneffizienz oder die präzise Planung von Wartungsarbeiten umfassen.
Zum anderen findet KI immer breitere Anwendung in den sensorbasierten Sortiergeräten, die jedes einzelne Teil, das durch eine Recyclinganlage läuft, scannen und analysieren. Auf diese Weise lassen sich nicht nur wichtige Rückschlüsse über die Beschaffenheit des Materialstroms ziehen, sondern auch Herausforderungen bewältigen, die bislang schwer lösbar waren. Ein Beispiel ist die Maximierung des Durchsatzes durch effizientere Trennung und Verarbeitung von Glas. Ebenso wird es durch den KI-Einsatz möglich, dunkle Glasscherben zu erkennen, die künftig nicht mehr im KSP-Abfall (Keramik, Steine, Porzellan) landen, sondern als wertvolles Glas aus dem Recyclingprozess gewonnen werden können.
Die Integration von KI in diese Prozesse birgt enormes Potenzial, die Effizienz und Nachhaltigkeit im Glasrecycling weiter zu steigern. Diese Technologien leisten somit einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung einer zirkulären Glaswirtschaft.“
Welche Chancen und Herausforderungen sehen Sie bei der Umsetzung einer „Circular Glass Economy“?
Thomas Wesian: „Die Umsetzung einer Circular Glass Economy bietet erhebliche Chancen, bringt jedoch auch Herausforderungen mit sich. Auf der Chancen-Seite steht das enorme Potenzial, wertvolle Ressourcen zu schonen und den Energieverbrauch sowie die CO₂-Emissionen erheblich zu reduzieren. Glas ist ein Material, das nahezu unbegrenzt recycelt werden kann. Eine maximale Integration von recyceltem Glas in die Produktionskreisläufe könnte den Rohstoffverbrauch deutlich verringern und die Grundlage für eine nachhaltige und ressourcenschonende Wirtschaft schaffen.
Eine Circular Glass Economy eröffnet zudem wirtschaftliche Vorteile, da sie die Abhängigkeit von Rohstoffimporten reduziert und durch neue Technologien wie KI-gestützte Sortierung Effizienzgewinne ermöglicht. Gleichzeitig stärkt sie die Innovationskraft der Branche, indem sie Digitalisierung und Kreislaufwirtschaft miteinander verknüpft.
Zu den zentralen Herausforderungen gehört die Sammlung und Sortierung von Glasabfällen, deren Qualität und Reinheit entscheidend für die Wiederverwendung sind. Effiziente Sammelstrukturen und moderne Sortiertechnologien sind hier essenziell. Ebenso spielen die Beschaffenheit und das Design des Glases eine immer größere Rolle. Trends wie Lackbeschichtungen oder das Bedrucken von Glas verschlechtern die Recyclebarkeit erheblich und stellen eine wachsende Herausforderung dar.
Darüber hinaus erfordert die Umstellung auf eine Circular Glass Economy erhebliche Investitionen in Infrastruktur sowie enge Zusammenarbeit zwischen Industrie, Politik und Wissenschaft. Einheitliche Standards und gesetzliche Rahmenbedingungen sind notwendig, um die notwendigen Anreize zu schaffen und die internationale Zusammenarbeit zu fördern.
Trotz dieser Herausforderungen überwiegen die Chancen. Eine Circular Glass Economy ist nicht nur ein Schlüssel zur ökologischen Nachhaltigkeit, sondern auch zur langfristigen Wettbewerbsfähigkeit der Glasindustrie. Sie leistet einen bedeutenden Beitrag zur Bewältigung globaler Herausforderungen wie Klimawandel und Ressourcenknappheit.“
Wie unterscheidet sich die Umsetzung einer „Circular Glass Economy“ in Europa zu anderen Regionen oder internationalen Ansätzen?
Thomas Wesian: „Die Umsetzung einer Circular Glass Economy in Europa unterscheidet sich durch eine Kombination aus regulatorischen, wirtschaftlichen und infrastrukturellen Faktoren, die in vielen anderen Regionen nicht in gleichem Maße vorhanden sind. Europa hat frühzeitig in eine umfassende Recyclinginfrastruktur investiert und großflächige Sammelprogramme eingeführt, die eine hohe Sammelquote ermöglichen. Einheitliche Standards sorgen für klare Vorgaben und fördern eine effiziente und qualitativ hochwertige Wiederverwertung von Glas.
Ein weiterer zentraler Treiber ist der hohe Einsatz von Scherben bei der Herstellung von neuem Behälterglas. Dieser wird in Europa nicht nur durch die Vorteile bei der Ressourcenschonung, sondern auch durch die vergleichsweise hohen Energiepreise stark gefördert, da die Verarbeitung von Recyclingglas weniger Energie erfordert als die Herstellung aus Primärrohstoffen.
Ein bedeutender Unterschied zu anderen Regionen ist zudem das Deponieverbot für Glas, das in zahlreichen Bereichen Europas gilt. Während Glas in anderen Teilen der Welt häufig auf Deponien entsorgt wird, zwingt dieses Verbot in Europa dazu, das Material in den Recyclingkreislauf zurückzuführen.
Im internationalen Vergleich mangelt es in vielen Regionen an vergleichbaren rechtlichen Rahmenbedingungen, technischen Standards und einer flächendeckenden Infrastruktur, was die Recyclingquote dort deutlich niedriger ausfallen lässt. Europa hingegen kombiniert technologische Innovationen, wirtschaftliche Anreize und politische Maßnahmen, um die Circular Glass Economy voranzutreiben und weltweit als Vorbild zu dienen.“
Glas wird oft als idealer Werkstoff für Kreislaufwirtschaft bezeichnet. Was kann die Branche vielleicht von anderen Industrien – auch in puncto KI-Einsatz – lernen und wie kann sie ihre Vorreiterrolle weiter stärken?
Thomas Wesian: „Die Glasindustrie kann von einigen anderen Branchen lernen, wie KI gezielt zur Prozessoptimierung, vorausschauenden Wartung und datenbasierten Entscheidungsfindung eingesetzt wird. Dabei spielt nicht nur die effektive Nutzung von Daten eine zentrale Rolle, sondern auch die Vernetzung von Wissen und Erfahrungen innerhalb der gesamten Wertschöpfungskette. Unterschiedliche Hersteller, Akteure und Experten müssen ihr Wissen und ihre Innovationskraft bündeln, um gemeinsam neue Ansätze und Technologien zu entwickeln.
Insbesondere der offene Austausch über Daten und Best Practices, etwa zu Recyclingverfahren oder Designkonzepten, kann die Branche auf das nächste Level bringen. Nur wenn jeder seinen Beitrag leistet und gemeinsam an Lösungen gearbeitet wird, können die Potenziale der Circular Glass Economy voll ausgeschöpft werden. So kann die Glasindustrie ihre Vorreiterrolle weiter stärken und eine noch nachhaltigere Zukunft gestalten.“