Wieso werden Recycling-Lösungen für die Solar-Branche aktuell und in Zukunft immer wichtiger?
Dr. Sylke Meyer: „Es gibt mehrere Treiber. Einer ist die zu erwartende Welle an Altmodulen. Eine wichtige Rolle spielt auch das Ziel, durch zirkuläre Nutzung die Abhängigkeit von Primärrohstoffen zu verringern. Auf Dauer sehe ich auch die Substitution kritischer Materialien als Thema, die sonst bei der Entsorgung für Probleme sorgen können. Solchen Aspekten kann durch verstärkte »Design for Recycling«-Ansätze begegnet werden. Auch die Betrachtung des CO2-Fußabdrucks pro gefertigtem Modul dürfte langfristig wichtiger werden, was beispielsweise zum stärkeren Einsatz von Biopolymeren führen könnte. Auch dafür müssen dann wieder Recyclingtechnologien gefunden werden. Ziel im Photovoltaik-Markt sollte eine echte Kreislaufwirtschaft sein, bei der möglichst viele im Modul verbaute Materialien mit möglichst hoher Wertschöpfung wieder in den Produktzyklus gelangen. Theoretisch können bis zu 95 Prozent eines Moduls recycelt werden.“
Können Sie kurz erklären, wie das Recycling von Photovoltaik-Modulen derzeit funktioniert?
Dr. Sylke Meyer: „Zunächst werden Altmodule zu einem Verwertungsunternehmen gebracht. Die im Modul fest miteinander verbundenen Materialien werden dort separiert, es werden also Aluminiumrahmen, Anschlussdose und Glas vom Laminat getrennt. Die einzelnen Fraktionen werden zerkleinert und gereinigt. Für die Trennung der Materialien voneinander kommen thermische Verfahren (Schmelzen), mechanische Verfahren (Mahlen und Sieben) und chemische Verfahren (Lösungsmittel, Säuren, Laugen) zum Einsatz. Die verschiedenen technologischen Routen können dabei auch kombiniert werden. Aktuell wird hauptsächlich die mechanische Zerkleinerung angewendet. Das nach dem Schreddern anfallende Materialgemisch in Form von unterschiedlich großen Partikeln muss dann aufwändig durch mechanische, physikalische und chemische Verfahren getrennt und gereinigt werden. Da Aluminiumrahmen und Glas mehr als 80% Gewichtsanteil an einem PV-Modul haben, konzentrieren sich die etablierten Recycling-Technologien derzeit auf diese Materialen. Für andere Materialien wie Silizium und Kunststoffe sind verschiedene Verfahren in der Entwicklung.“
Welche Technologien und Methoden werden im Projekt verwendet, um die Materialqualität von recycelten Solarmodul-Komponenten zu verbessern?
Dr. Sylke Meyer: „Es werden verschiedene Separierungstechniken getestet, die eine höhere Qualität des wiedergewonnenen Glases sicherstellen. Außerdem werden neue Wege für die Rückführung des Siliziums in den Produktionskreislauf untersucht, die mit nur wenigen hydrometallurgischen Reinigungsschritten auskommen. Wir als Fraunhofer CSP bringen in »RETRIEVE« unsere Expertise zur Materialanalytik und -charakterisierung ein, für die wir eine hoch moderne Ausstattung bieten können. Dazu gehören Inductively Coupled Plasma - Mass Spectrometry ICP-MS, eine Analysenmethode für die anorganische Elementanalytik, und die Laser Induced Breakdown Spektroskopie (LIBS), die eine in-line Analyse von Elementgehalten ermöglicht. Auch bei der Prozessoptimierung innerhalb der verschiedenen Aufreinigungs- und Weiterverarbeitungsschritte arbeiten wir intensiv mit.“
Welche Auswirkungen erwarten Sie vom Projekt auf die Photovoltaik-Wertschöpfungskette und die Kreislaufwirtschaft insgesamt?
Dr. Sylke Meyer: „Wir wollen dazu beitragen, dass wertvolle Ressourcen sinnvoll und möglichst hochwertig weiter genutzt werden können. Dass man in der Photovoltaik, die uns mit grünem Strom versorgen soll, auch auf Kreislaufwirtschaft setzt, ist nur logisch. Denn beides ist auf Nachhaltigkeit ausgerichtet und kann sich im besten Falle gegenseitig verstärken, um dieses Ziel zu erreichen. Innovative Recycling-Ansätze können dabei insbesondere für die europäische Industrie ein Wettbewerbsvorteil sein, für die PV-Branche ebenso wie für Materialzulieferer und vor allem für die Recyclingindustrie selbst.“
Ganz allgemein: Welche Herausforderungen sehen Sie im Bereich der Forschung und Entwicklung für die Zukunft?
Dr. Sylke Meyer: „Für das Recycling ist natürlich die Wirtschaftlichkeit ein zentrales Thema. Im sehr kompetitiven PV-Markt gibt es für die Hersteller wenig Möglichkeiten, Mehrkosten für besonders nachhaltig hergestellte Module an die Kunden weiterzugeben. Es gilt also, bezahlbare Recyclingverfahren ebenso zu entwickeln wie attraktive Märkte für die Nutzung von Rezyklaten aus PV-Modulen. Ich sehe hier erhebliche Chancen durch Skalierungseffekte: Gerade durch die große Menge an Altmodulen kann sich die Entwicklung passender Verfahren lohnen, was dann wiederum zu einem größeren Angebot und somit sinkenden Preisen von Rezyklaten führen kann.
Mit Blick auf die Solarbranche insgesamt: Wir sollten nicht nur auf Wirkungsgrad und Kostensenkung schauen, sondern parallel auch auf die Zuverlässigkeit und Lebensdauer der Module: Je länger die Module intakt im Betrieb sind, desto geringer wird schließlich der Recyclingbedarf. Auch dazu trägt unsere Forschung am Fraunhofer CSP bei.“
Vielen Dank für das Interview!