Automatisierung und Digitalisierung beeinflussen sowohl das Produkt Glas als auch seine Herstellung. Daher ist es notwendig, beides digital verfolgen und die entstehende Datenflut bewältigen und nutzen zu können.
Das hat Auswirkungen auf das Auftragsmanagement, die Produktion wie auch die interne Logistik bis hin zum Kunden. Wegen der klimapolitischen Ziele muss sich die Glasindustrie mit dem Ende des Lebenszyklus eines Glasproduktes auseinandersetzen hinsichtlich Recycling und Kreislaufwirtschaft. Entsorger oder Abbruchunternehmen benötigen Informationen darüber, wie sie mit den Materialien umgehen, sie trennen und wiederverwenden können.
Diese Entwicklung erfordert es, möglichst viele Daten zu sammeln und auszuwerten. Das gelingt am besten mit digitalen Technologien, Stichwort: Track & Trace. Der Prozess beginnt bereits mit dem Auftragseingang. Die HEGLA boraident GmbH & Co. KG bietet Verfahren mit Laserbeschriftung an. Damit lassen sich die internen Arbeitsschritte organisieren als auch optimieren und Produkte wie Abläufe über den Lebenszyklus hinweg verfolgen.
Die bereits in der Produktionsplanung festgelegte virtuelle Kennung wird als Data-Matrix-Code vor dem Schneiden per Laserdruck auf die Scheibe aufgebracht. Der Code ist zu 99,9 Prozent maschinenlesbar. Während der folgenden Verarbeitungsprozesse wird das Glas mehrfach identifiziert, der Code ausgelesen und jeder Lesevorgang mit Ort und Zeit im übergeordneten Produktionssystem abgebildet. Das schafft einen lückenlosen Überblick und ermöglicht schnelles Handeln, sollten Störungen auftreten. Auch geht kein Glas mehr verloren und beschädigte Scheiben können zügig nachproduziert werden. Die Programmdaten in CNC-Bearbeitungszentren lassen sich mit den einzelnen Scheiben verknüpfen, damit reduzieren sich die Fehlerquoten durch falsche Programmierung. Alle Informationen über eine Scheibe bis hin zum Einbauort können erfasst werden. Das bringt später Vorteile, wenn es darum geht, sie im Schadensfall zu ersetzen, sie wiederzuverwenden oder zu recyceln.
Mit dem Kunden verbunden
Einen anderen Ansatz verfolgen die Unternehmen Laetus GmbH als Anbieter von Qualitätskontroll- und Track & Trace Systemen mit Hard und Software und Kezzler AS mit Software für cloud-basierte Anwendungen. Sie kombinieren ihre Track & Trace Technologien über bis zu fünf Ebenen, um das Endprodukt mittels QR-Code (digitaler Fingerabdruck) im Markt „sichtbarer“ werden zu lassen. Mit einem Mehrwert für den Verbraucher steigern sie den Absatz. Wie eine Studie des MIT zeigte, erhöht eine bessere Supply-Chain-Transparenz die Zahlungsbereitschaft um 2-10 Prozent [Tim Kraft, León Valdés, Yanchong Zheng, 2019: Consumer Trust in Social Responsibility Communications: The Role of Supply Chain Visibility]*. Der Endkunde kann die Schritte im Herstellungsprozess nachvollziehen, und/oder er erhält zusammen mit dem Produkt einen Zusatznutzen über digitale Plattformen (Apps, Websites). Dadurch soll Vertrauen entstehen. Für Unternehmen ist dies eine Möglichkeit, Kunden an sich zu binden, Marke wie Qualität zu sichern und sich besser auf zukünftige Produktentwicklungen vorbereiten zu können. Auch Produktionsaspekte wie Wiederverwendung und grüner Fußabdruck, Kontrolle der Lieferkette oder ein höherer Automatisierungsgrad spielen eine Rolle. Das System lässt eine vollständige Integration in die bestehende Produktion zu, auch über die Fabrik hinaus. Es endet entweder in einer Schnittstelle des kundenseitigen Fertigungsmanagementsystems oder in einer Cloud für den Endverbraucher.
(Bild) Adobe Stock
BU: QR-Codes zur Kundenbindung und um nützliche Produktinformationen bereitzustellen.
Blockchain – nicht nur für Kryptowährungen
Mit zunehmender Digitalisierung wird die Datensicherheit für Unternehmen wichtiger. Ursprünglich für Kryptowährungen eingesetzt, rückt die Block Chain Technologie für das Product-Lifecycle-Management (PLM) häufiger in den Blick und wird für Industrieanwendungen interessanter. Transaktionsdaten werden nicht auf nur einem Server gespeichert, sondern weltweit auf vielen sogenannten Minern dupliziert. Daher stammt der häufig verwendete Name Distributed Ledger Technologie. Es entsteht eine Kette von hintereinander folgenden Datenblöcken, deren gespeicherte Informationen unveränderbar sind, sobald sie digital versiegelt wurden. Die Blockgröße ist begrenzt, große Datenmengen sind damit nicht transportierbar. Ist es notwendig, umfangreiche Datenfiles abzusichern, geschieht dies über den Hash-Wert der Datei, der wiederum in der Blockchain gespeichert wird und damit eine eineindeutige Beziehung zu der Ursprungsdatei bildet. Durch ein kryptografisches Verfahren sind die Blöcke miteinander verbunden. Auf jedem Miner ist eine Kopie der gesamten Blockchain gespeichert. Somit können Angreifer sie weder verändern noch löschen, es sei denn sie brächten mehr als 50 Prozent der Miner unter ihre Kontrolle.
Mit Smart Contracts lassen sich in der Blockchain Geschäftsprozesse automatisieren, da auch ausführbare Programmcodes abgelegt werden können. Das Prinzip orientiert sich an der Wenn-dann-Regel. Hat ein Kunde beispielsweise seine letzte Leasing-Rate für eine Maschine bezahlt, wird diese automatisch für den nächsten Zeitraum freigeschaltet. Ein Vorteil ist, dass Geschäftspartner keinen Intermediär benötigen, sondern den Prozess direkt miteinander durchführen können. Wenn Daten von außen mit Informationen von Dritten in die Blockchain eingebracht werden müssen, um einen Smart Contract überprüfen oder ausführen zu können, wird dies über Oracles ermöglicht. Ein Oracle ist in diesem Zusammenhang eine Art Übersetzer oder Schnittstelle, die Sachverhalte und Geschehnisse aus der realen Welt verifiziert, diese in die Blockchain überführt und auch für Smart Contracts bereitstellt. Oracles arbeiten dann als Trigger für die Smart Contracts, um bestimmte Vorgänge auszulösen.
Am Anfang steht für ein Unternehmen immer die Entscheidung, ob dieses Verfahren für die eigenen Zwecke sinnvoll ist. Im Beispiel der Prostep AG, einem Experten für PLM Prozesse und Lösungen, geht es um das Recht, ein bestimmtes Bauteil im 3-D-Druck herzustellen. Das Projekt SAMPL – Secure Additive Manufacturing Platform (https://sampl.fks.tuhh.de/en/home.html), gefördert vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, berücksichtigt das Urheber- und Produkthaftungsrecht, um Originalteile von Raubkopien zu unterscheiden, Lizenzen zu vergeben und Druckrechte abzusichern sowie neue Wertschöpfungs- und Geschäftsmodelle zu ermöglichen. Ein Konsortium unter der Federführung von Prostep, bestehend aus zehn Unternehmen und Institutionen, erarbeitete folgende Ergebnisse:
- Aufbau einer vertrauenswürdigen Lieferkette vom Rechteinhaber über Druckdienstleister bis hin zum Endkunden (Chain of Trust)
- Aufbau einer Referenzplattform mit Blockchain- und Druckerintegration
- Blockchain Technologie für Lizensierung, Dokumentation von Druckprozessdaten und Bauteiltracking
- Bauteiltracking durch RFID-Chips, QR-Codes oder andere Methoden
Diese Plattform basiert auf der Datenaustauschlösung OpenDXM GlobalX. Sie ermöglicht es, Aufträge für den 3D-Druck beispielsweise von Ersatzteilen weltweit on-demand durchführen zu lassen, die Lizensierung der Druckvorgänge vorzunehmen sowie die Prozessdokumentation, die Nachverfolgbarkeit und den Originalitätsnachweis über die Blockchain abzusichern. Der Anwender kann dabei Verfahren einsetzen, die wesentlich weniger Energie verbrauchen als Bitcoin Blockchains.
„Neben diesem Anwendungsfall gibt es zahlreiche Möglichkeiten Blockchain Technologie einzusetzen. Die goldene 4-aus-7-Regel hilft dabei zu bewerten, ob sie sich für eine Anwendung eignet. Wenn vier der sieben Vorteile erfüllt sind, ist es sinnvoll, diesen Anwendungsfall näher zu betrachten“, empfiehlt Dr. Martin Holland, Geschäftsleitung Strategie & Business Development bei Prostep.
Bild: Grafik 4-aus-7-Regel (Prostep)
Block Chain in der Glasindustrie
Nun zu einem Beispiel aus der Projektarbeit in einer Isolierglasproduktion mit manuellen und maschinellen Prozessen. Eine Masterarbeit (Thomas Lenze) aus dem Unternehmen A+W Software GmbH analysiert, wie die Daten erfasst und verwaltet werden können. Ein möglicher Anwendungsfall ist eine Versicherungsgesellschaft, die über eine Smart Contract Anwendung Zugriff auf die Spannungsprüfung nach einem Härteprozess bekommen soll, um Produkthaftungsrisiken abzuklären. Eine Rolle spielen außerdem Anforderungen der digitalen Dokumentation im Building Information Modeling (BIM).
Die Stufen Zuschnitt, Vorspannen, Heat-Soak-Test und Isolierglasfertigung inklusive Hilfsmaterialien mit allen Seriennummern bilden die Prozesskette ab, basierend auf dem Barcode einer Einzelscheibe. Insgesamt werden Daten erfasst, der Barcode-ID zugeordnet und mit dem übergeordneten System verbunden, beginnend mit der Materialcharge der Glashütte, über die Zuordnung der Einzelscheiben, die Temperatur-Zeit-Profile des Härteofens sowie den Heat-Soak-Ofen bis hin zur Chargennummer der Dichtstoffe.
Sind diese Daten in einer Blockchain verfügbar, können beliebig viele Kanäle aufgebaut werden, die jeweils nur einen Teil der Informationen für bestimmte Nutzer sichtbar machen, wie beispielsweise die Versicherungsgesellschaft.
Die Inhalte dieses Artikels waren im Juni 2021 Thema im VDMA Industriearbeitskreis Forschung & Technologie des Forums Glastechnik. Der Arbeitskreis tagt mehrmals im Jahr und beschäftigt sich mit für die Glasindustrie relevanten technischen Entwicklungen aus dem Maschinenbau.
*Massachusetts Institute of Technology’s Sloan School of Management on the impact of supply-chain visibility on trust and its impact on purchasing decisions by the consumer. The better part of that study says "The increase in trust due to greater visibility accounts for a 3.3 percentage-point increase in sales".
Wichtige Links:
www.glass.vdma.org
www.boraident.de
www.laetus.com
www.kezzler.com
www.prostep.com
www.a-w.de
Haben Sie noch Fragen? Gesine Bergmann, Forum Glastechnik,
Telefon 069 6603 1259, gesine.bergmann@vdma.org, beantwortet sie gerne.
Pressekontakt: Martina Scherbel, martina.scherbel@vdma.org, 069 6603-1257
Der VDMA vertritt rund 3300 deutsche und europäische Unternehmen des Maschinen- und Anlagenbaus. Die Industrie steht für Innovation, Exportorientierung, Mittelstand und beschäftigt rund vier Millionen Menschen in Europa, davon mehr als eine Million allein in Deutschland.