Wie reduziere ich als produzierendes Unternehmen meinen CO2-Fußabdruck? Der Industriearbeitskreis Forschung & Technologie vermittelte verschiedene Ansätze, die sich auch im Glasmaschinenbau umsetzen lassen.
Der europäische Green Deal – Klimaneutralität bis 2050 - wirkt sich massiv auf Gesellschaft und Industrie aus. Europäische Regulatorik, Finanz- und Kapitalmärkte, Marktperspektiven sowie Produkt-Branding und der Umgang mit Ressourcen und Natur sind Themen, mit denen sich Unternehmen auseinandersetzen müssen, wenn es um ihre zukünftige Wettbewerbsfähigkeit geht. An Maßnahmen, welche dazu dienen, die eigene Umweltbilanz zu verbessern, geht kein Weg vorbei. Dabei handelt es sich in erster Linie darum, Kohlendioxid zu reduzieren und vermeiden, weniger, es zu kompensieren. Nach dem Greenhouse Gas Protocol – einem anerkannten internationalen Standard, um Treibhausgasemissionen zu bilanzieren und zu berichten – unterscheidet man beim Berichtswesen für Unternehmen zwischen direkten Emissionen aus der eigenen Verbrennung (Scope 1), indirekten Emissionen aus dem Bezug von leitungsgebundener Energie (Scope2) und sonstigen indirekten Emissionen aus Prozessen und Produkten, die das Unternehmen direkt oder indirekt verursacht (Scope 3).
Per Software zu mehr Transparenz
Nicht nur die eigene Produktion, sondern ebenso die Klimabilanz der Zulieferer spielt eine entscheidende Rolle (Scope 3) – vor allem im Hinblick auf das europäische Lieferkettengesetz. Die Siemens AG, ein Weltkonzern mit 66.000 Lieferanten in 145 Ländern, meistert diese Herausforderung mit einem Software-Tool, das Siemens zusammen mit der Firma ctrl+s entwickelt hat. Die Lieferanten durchlaufen ein Assessment, das Einfluss auf die Kaufentscheidung des Unternehmens hat. Bis zum Jahr 2030 möchte Siemens seinen Upstream-CO2-Fußabdruck (Scope 3) um 20 Prozent reduzieren und bis 2050 klimaneutral sein. Dabei geht es nicht nur darum, von Lieferanten gelieferte Primärdaten auszuwerten, sondern den zuliefernden Geschäftspartnern auch Vorschläge zu unterbreiten, welche Schritte sie unternehmen können, um ihre eigene CO2-Bilanz zu verbessern.
Bereits vor zwei Jahren ging Siemens mit dem carbon-reduction@suppliers-Programm an den Start. Dabei befragt Siemens seine Lieferanten mit Hilfe des Carbon Web Assessment Tools - jetzt umbenannt in „supplier+s“ - zu Kategorien betreffend Energieeffizienz, Ökostrom, wirtschaftliche Optionen für kohlenstoffarmen Strom sowie kohlenstoffarme Wärme und Kälte, energieeffiziente Prozesse, Logistik und den Einsatz von recycelten Produkten bis hin zu Geschäftsreisen. Die Zulieferer können sowohl aktuelle Werte als auch Zielwerte für die Folgejahre eingeben. Das System errechnet aus den einzelnen Angaben eine Gesamtbewertung in Prozent und stellt die Abweichung zum Branchendurchschnitt dar. Da nicht jeder Lieferant seine Prozesse schon so gut kennt, dass er detaillierte Angaben dazu machen könnte, erlaubt das Tool jederzeit Anpassungen und Aktualisierungen. Dabei veranschaulicht das System beispielsweise mit Modellgrafiken, wo weitere Optimierungsmöglichkeiten vorhanden sind und liefert Vorschläge. Somit hilft es den Firmen, ihre CO2-Bilanz kontinuierlich zu verbessern und eine Net-Zero-Strategie zu entwickeln. Siemens stellt das Assessment-Tool seinen Lieferanten kostenfrei zur Verfügung. Um es auch anderen Firmen zu ermöglichen, die Emissionen in der eigenen Lieferkette zu managen, hat Siemens Anfang 2023 die Rechte an die Firma ctrl+s übertragen, die „supplier+s“ nun auf dem Markt anbietet.
((Screenshot Bildquelle: ctrl+s))
Den Stromverbrauch von Werkzeugmaschinen drosseln
Bei der Teilefertigung mit Werkzeugmaschinen – auch im Glasmaschinenbau – rückt der elektrische Energieverbrauch laut Siemens Digital Industries immer mehr in den Fokus. Nicht nur weil der damit verbundene CO2-Ausstoß bei den gefertigten Bauteilen negativ zu Buche schlägt. Auch die weiter steigenden Kosten für die elektrische Energie verteuern den Fertigungsprozess. Grund genug, sich hier das Einsparpotenzial genauer anzusehen. Im Fokus stehen dabei die Nebenaggregate der Maschinen. Diese verursachen laut einer Studie der TU Darmstadt 80 Prozent des Energieverbrauchs über den Lebenszyklus der Maschine. Daher bringt die automatische Abschaltung der Nebenaggregate in Pausenzeiten bereits eine merkliche Energieeinsparung. Die Drehzahl der Nebenaggregate mittels Frequenzumrichter an die jeweilige Bearbeitungssituation anzupassen, ist ein weiterer wichtiger Hebel. Schlussendlich führen alle Maßnahmen „spanlose“ Zeiten der Maschinen zu vermeiden - neben der Maximierung der Produktivität - automatisch ebenso dazu, den Verbrauch an elektrischer Energie zu minimieren. Digitale Zwillinge zur „offline-Erstellung” von CNC-Programmen oder Features zum schnellen Einrichten der Maschine sind somit weitere Stellschrauben. Die entscheidende Voraussetzung, um konkrete Maßnahmen zu ergreifen, ist nicht zuletzt die Visualisierung des Energieverbrauchs.
Mit Gleichstrom zur Klimaneutralität
Produktionsanlagen energieeffizienter und CO2-neutral zu machen, ist ein weiterer Baustein für eine erfolgreiche Energiewende. DC-Netze ermöglichen einen Technologiesprung in Richtung Klimaneutralität, Ressourcenschonung und Netzstabilität. Letztere ist unerlässlich, um eine verlässliche Energieversorgung zu gewährleisten, auch bei der Nutzung regenerativer Energien. Fabrikinterne DC-Netze können deren Schwankungen ausgleichen, Spitzenlasten abfangen und im eigenen Haus erzeugte Energie aus erneuerbaren Quellen zeitversetzt zur Verfügung stellen.
Die Weidmüller Interface GmbH & Co. KG war Partner in einem Kooperationsprojekt mit 35 Unternehmen, welches sich mit den Möglichkeiten der Nutzung von DC-Technologien beschäftigte. Das Unternehmen bietet Systemspezifikationen als auch Komponenten und Lösungen für den Aufbau und den Betrieb von DC-Netzen an.
Was bedeutet es nun, ein solches Netz einzurichten? Der Energieversorger liefert dem Unternehmen weiterhin Energie in AC-Technologie, die am Übergabepunkt in der Produktionsanlage in DC umgewandelt wird. Für die Einspeisung der Energie, für Schaltgerätetechnologien und Schutzkonzepte sowie einige weitere Komponenten sind Anpassungen nötig. Dann leitet ein Energiebus die transformierte Energie weiter zu den Verbrauchern wie Maschinen, Fahrzeuge oder den technischen Einrichtungen im Gebäude. Seit Jahren existieren bereits einige Maschinen, beispielsweise Spritzgussmaschinen, die intern mit DC-Technologie arbeiten. Ferner können firmeneigene Anlagen zur Energieerzeugung und -speicherung einfacher integriert werden (zum Beispiel Photovoltaik-Anlagen oder Batteriespeicher). Damit reduziert sich automatisch die Leistung, die für die Produktion aus dem Netz des Energieversorgungsunternehmens eingespeist werden muss. Weitere Vorteile sind, dass wertvolles Kupfer gespart wird und sich der Leitungsquerschnitt der Kabel reduziert. Da sich das Unternehmen vom Entsorger entkoppeln kann, ist das interne Netz wesentlich robuster und stabiler, den Ausgleich schaffen Speichersysteme und der Umgang mit EMV wird einfacher.
VDMA-Leitfaden als Praxisanleitung
Der VDMA unterstützt Unternehmen auf ihrem Weg in die Klimaneutralität. Der Praxisleitfaden „Klimaneutral Produzieren – Handlungsempfehlungen für den Maschinen- und Anlagenbau“ ist über den Verband erhältlich. Er beschreibt in acht Schritten, wie Unternehmen grundsätzlich Klimaneutralität erreichen können. Ausgangspunkt ist zunächst der Corporate Carbon Footprint (CCF), welcher die aktuelle Situation beleuchtet.
Davon ausgehend erfolgen die Planung und Anpassung zukünftiger Emissionen durch Investitionen in energieeffizientere Produktionsanlagen. Gleichzeitig kann eine Umstellung der Versorgung aus erneuerbaren Energiequellen erfolgen. Langfristig wichtig ist, die Transparenz des CO2-Fußabdrucks in der gesamten Liefer- und Wertschöpfungskette (Scope3 – Emissionen) abzubilden. Der digitale Produktpass speichert zukünftig alle Informationen zum Lebenszyklus eines Produktes, damit Kunden und Endverbraucher die Produktionsbedingungen abrufen und nachvollziehen können. Zur Bestimmung des PCFs hat der VDMA eine Guideline erarbeitet, welche sich aktuell in der Konsultationsphase befindet.
Weitere Informationen hierzu auf www.vdma.org.
Wichtige Links:
https://vdma.org/glastechnik
Haben Sie noch Fragen? Gesine Bergmann, Forum Glastechnik,
Telefon 069 6603 1259, gesine.bergmann@vdma.org, beantwortet sie gerne.
Pressekontakt: Martina Scherbel, martina.scherbel@vdma.org, 069 6603-1257
Der VDMA vertritt mehr als 3600 deutsche und europäische Unternehmen des Maschinen- und Anlagenbaus. Die Industrie steht für Innovation, Exportorientierung und Mittelstand. Die Unternehmen beschäftigen insgesamt rund 3 Millionen Menschen in der EU-27, davon mehr als 1,2 Millionen allein in Deutschland. Damit ist der Maschinen- und Anlagenbau unter den Investitionsgüterindustrien der größte Arbeitgeber, sowohl in der EU-27 als auch in Deutschland. Er steht in der Europäischen Union für ein Umsatzvolumen von geschätzt rund 860 Milliarden Euro. Rund 80 Prozent der in der EU verkauften Maschinen stammen aus einer Fertigungsstätte im Binnenmarkt.