Auch in der Glasherstellung bestimmen Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft zunehmend die Arbeits- und Produktionsprozesse. Die Hohlglasindustrie setzt schon lange darauf, für die Flachglasindustrie ist dies jedoch schwierig.
Sei es als Mehrwegverpackung oder als Recyclingrohstoff, Sammelsysteme für Hohlglas haben in Deutschland Tradition und die Recyclingquoten sind hoch. Das spart Rohmaterial, Energie und führt zu einem geringeren CO2-Ausstoß.
Schwieriger ist es beim Flachglas. Flachglasscherben lassen sich nur begrenzt mehrfach verwenden. Die Qualitätsanforderungen sind hoch. Flachgläser kommen je nach Einsatzzweck in vielerlei Gestalt beim Recycling-Unternehmen an. Selten sind es nur Float- oder Gussgläser. Sie können mit Wärmedämm- oder Sichtschutzbeschichtungen versehen oder mit keramischen Farben bedruckt sein, als laminierte Verbünde auftreten oder mit Drahteinlage ausgestattet sein. Dies alles erschwert den Aufbereitungsprozess und reduziert die Möglichkeiten, die Scherben erneut zu verwenden. Glasverbünde mit spezifischen Funktionen werden in Zukunft noch viel häufiger ihren Einsatz finden. Damit wachsen die Herausforderungen.
Grundsätzlich kommen Flachglasscherben aus zwei Bereichen. Scherben aus der Produktion entstehen zum Beispiel am kalten Ende des Herstellungsprozesses, an Schneid- oder Vorspannanlagen. Der Verarbeiter kann diese Scherben der Flachglasschmelzwanne beinahe direkt wieder zuführen, da sie dem ursprünglichen Flachglas sehr ähneln. Mit Beschichtungen, Laminierungen oder weiteren Funktionen ist dies nicht mehr so einfach möglich.
Noch schwieriger ist es bei Bauelementen aus Glas, dem zweiten Bereich. Sowohl Flachgläser aus dem Automobilsektor als auch Fassadengläser oder Fensterelemente stellen die Recyclingunternehmen vor wachsende Anforderungen. Glasverbünde enthalten unterschiedlichste Materialien. Diese reichen von PVB-Folien über Flüssigkristallschichten bis hin zu Metallen. Gleichzeitig gibt es kaum Strukturen, welche das nachvollziehbare Sammeln und Aufbereiten dieser Glasprodukte sicherstellen, weder auf nationaler noch auf europäischer Ebene. Aktuelle Zahlen zeigen einen Scherbeneinsatz von 26 % für die Herstellung von Flachglas in Europa (1). Technische, infrastrukturelle und wirtschaftliche Randbedingungen begrenzen nach derzeitiger Einschätzung das noch vorhandene Potenzial auf maximal 37 % Scherbeneinsatz (1).
Beispiel Niederlande
In den Niederlanden gibt es ein landesweites Sammelsystem. Nach einer Initiative zum Aufbau eines Recyclingsystems im Jahr 2000, wurde im Jahr 2002 Vlakglas Recycling Nederland gegründet. Alle Arten von Flachglas, also auch Drahtglas und Verbundgläser sammelt die Organisation und verarbeitet sie zu einem Sekundärrohstoff. Die Basis dafür sind Sammelstellen bei Glasproduzenten oder Glasverarbeitern, in Abfallzentren, aber auch bei baustellenbezogenen Containersammlungen von Abbruchunternehmen. Die Kosten für das System werden über einen vorgeschriebenen Recyclingbeitrag finanziert. Dieser bemisst sich nach der Fläche des hergestellten oder importierten Glases. Im Jahr 2019 sammelte Vlakglas Recycling Nederland 80.000 t Flachglas und bereitete es auf. Leider ist der Anteil des Glases, der wieder der Flachglasherstellung zugeführt werden konnte, mit 7,5 % im Jahr 2018 noch klein (2). Der größte Teil geht, wie in anderen Ländern auch, in die Containerglasindustrie und in die Glaswolleproduktion. Langfristig strebt die Organisation eine Rückführquote in die Flachglasherstellung von 20 % an.
Massenströme in Europa unbekannt
Leider sind die Massenströme an Flachglas in kaum einem Land in Europa nachvollziehbar. Eine Studie des ift Rosenheim (3) sammelte Angaben von Flachglasrecyclern, Floatglashütten, Flachglasveredlern, Isololierglasherstellern und der Fenster-/Fassadenbranche in Deutschland. Leider waren viele Stakeholder nicht aussagefähig oder -willig, so dass die Daten im Wesentlichen auf Angaben der Recyclingbetriebe beruhen. Trotz größter Anstrengungen der Autoren sind die Angaben nicht schlüssig und teilweise widersprüchlich. Weitere Untersuchungen in anderen europäischen Ländern ergänzen das Bild. Die ARUP-Studie zum Architekturglas in Großbritannien (4) zeigte zwar den Willen einiger Fensterhersteller, den Recyclingprozess im Rahmen der Social Corporate Responsibility zu verbessern, aber auch hier wurde deutlich, dass ohne gesetzliche Anforderungen keine wesentliche Verbesserung zu erwarten ist. Das französische Projekt REVALO ist vergleichbar (5).
Die Sammelinfrastrukturen der Länder zu kennen, ist jedoch ein notwendiger Baustein, um die Stoffströme zu verstehen. Weder die Infrastrukturen noch die Rechtsvorschriften reichen aktuell aus, um die Wertstoffströme angemessen zu erfassen und die Glasverbünde und Bauelemente so aufzuarbeiten, dass ein größerer Anteil höherwertigen Produktionen wieder zugeführt werden kann. Die grundlegenden Rechtsvorschriften sind die Abfallrahmenrichtlinie 2008/98/EG und die Deponierichtlinie 1999/31/EG. Gespräche des Forums Glastechnik mit Glass for Europe und dem europäischen Abfall- und Recyclingverband FERVER zeigten große Übereinstimmung ihrer Ziele.
Nachhaltigkeit beginnt bei der Entwicklung
Da es bisher kaum möglich ist, die tatsächlich anfallenden Massenströme zu beziffern, ist es notwendig, spezifischere Zielgrößen für Flachglas, zum Beispiel für Abbruch- und Renovierungsvorhaben zu definieren. Dann kann auch der tatsächliche technische und finanzielle Aufwand der Flachglassammlung näher beziffert werden. Hohe Kosten verhindern meistens, dass Recycler glashaltige Bauelemente aufbereiten. Eine erste Hürde ist das Trennen von weiterem Bauschutt, das Demontieren von Bauelementen eine noch größere.
Berücksichtigt werden müssen unter anderem der Arbeits- und Personalaufwand zum Auseinanderbauen von Bauelementen, der Platzbedarf und die Transportkosten. Leider ist es in einigen Ländern noch möglich, Glasabfälle als inertes Material gemeinsam mit anderen Materialien zu deponieren. Damit geht ein wichtiger Rohstoff verloren. Glasverbünde enthalten zukünftig viel mehr an Materialien, die es wiederzugewinnen gilt. Um hier langfristig kostengünstig arbeiten zu können, ist es erforderlich, Trenntechnologien weiter- oder völlig neu zu entwickeln – eine Aufgabe, die Maschinenbau und Forschung gemeinsam bewältigen müssen. Eine End-of-life- Strategie ist zwingend notwendig, bevor ein Hersteller ein neues Produkt auf den Markt bringt. Nachhaltigkeit beginnt bei der Produktentwicklung.
Es gibt viel zu tun. Die derzeit gültige europäische Abfallrahmenrichtline zeigt die Richtung, und Glas kann sicherlich heute bereits einen großen Beitrag zu Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit leisten. Aber das Potenzial ist lange noch nicht ausgenutzt. Bauglas und Windschutzscheiben können beispielhaft zeigen, welche Schritte mit Quotenregelungen und Design for Recycling möglich sind. Die aktuelle Überarbeitung der Altfahrzeugrichtlinie wäre ein erster Schritt, konkrete Vorgaben zu veranlassen.
Verweise
- Europe, Glass For. Flat glass in climate-neutral Europe. Brüssel : Glass For Europe, 2020.
- https://www.vlakglasrecycling.nl/index.php?page=home-en. https://www.vlakglasrecycling.nl/index.php?page=home-en. [Online] [Cited: 10 15, 2020.]
- Ansgar Rose, Norbert Sack, Klemens Nothacker, Andrea Gassman. Recycling von Flachglas im Bauwesen - Analyse des Ist-Zustandes und Ableitung von Handlungsempfehlungen. ift Rosenheim. Stuttgart : Fraunhofer IRB Verlag, 2020. ISBN 978-3-7388-0459-1.
- DeBrincat, Graeme and Babic, Eva. Re-thinking the life-cycle of architectural glass. Glasgow : ARUP, 2018. Viability study & value report.
- Hestin, Mathieu, de Veron, Sarah and Burgos, Stephanie. Economic study on recycling of building glass in Europe. s.l. : Deloitte Sustainability, 2016.
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