Sie beschäftigen sich seit rund zehn Jahren mit tragenden Strukturen aus Gussglas. Was gab den Anstoß dafür?
Faidra Oikonomopoulou: Es begann 2014 mit den Crystal Houses in Amsterdam. Für den Flagship Store im Stadtzentrum hatte das Architekturbüro MVRDV eine Fassade aus geklebten Gussglassteinen geplant. Sie sollte eine exakte, aber völlig transparente Kopie der vorherigen historischen Fassade sein. Die Tragwerksplaner ABT wandten sich an unsere Forschungsgruppe, um die Konstruktion dafür zu entwickeln. Damals gab es dazu kaum Wissen, wie sich eine 10 x 12 m große, selbsttragende Fassade aus Gussglas herstellen lässt. Es fehlten geeignete Klebstoffe für solch eine Anwendung, und auch die Festigkeitswerte geklebter Glassteine waren nicht bekannt. Wir mussten also die gesamte Forschungs- und Entwicklungsarbeit für das Projekt leisten – sowohl was den statischen Nachweis als auch was die Umsetzung auf der Baustelle betrifft.
Telesilla Bristogianni: In der Folge haben wir auch den Bau der Fassade überwacht – jeden Tag von sechs Uhr morgens bis sechs Uhr abends. Den ersten Quadratmeter Glasfassade haben wir gemeinsam mit den Handwerkern vor Ort selbst gemauert, um ihnen die im Labor entwickelte Bauweise beizubringen.
Wo sehen Sie die Potenziale von gegossenem Glas?
Faidra Oikonomopoulou: Gussglas kann nicht nur die Form traditioneller Mauersteine annehmen. Es bietet viel mehr Gestaltungsmöglichkeiten und hat auch aus statischer Sicht große Potenziale. Das hat uns motiviert, die Forschung fortzusetzen – auch in Richtung kreislauffähiger Konstruktionen. So kamen wir auf die Idee mit ineinandergreifenden Glassteinen, die sich mit einer Zwischenschicht trocken stapeln lassen, ohne dauerhafte Verklebung. Und wir haben uns gefragt: Müssen wir wirklich neues Glas für diese Steine verwenden oder tut es auch Altglas? Wir haben zunächst mit Alltagsobjekten aus Glas experimentiert: etwa mit alten Röhrenbildschirmen, mit Frontscheiben von Backöfen, mit Abfällen aus der Glasbläserei und mit vielem mehr.
Was geschieht mit diesen Abfällen bisher?
Telesilla Bristogianni: Derzeit wird in Europa nur Behälterglas in größeren Mengen recycelt. Der Rest wird nur minderwertig verwertet oder landet auf der Deponie. Das hat logistische und technische Gründe. Die Transportkosten sind hoch, es gibt kaum etablierte Sammelsysteme und die sortenreine Trennung zwischen Glas und anderen Materialien ist schwierig, etwa bei alten Isolierglasscheiben. Hinzu kommen je nach Glassorte unterschiedliche optische und strukturelle Eigenschaften sowie unterschiedliche Normen. Die Floatglasindustrie stellt zum Beispiel enorm hohe optische Anforderungen an ihre Produkte. Die Rohmaterialien müssen daher komplett frei von Verschmutzungen und Verfärbungen sein. Das schließt die Verwendung von Post-Consumer-Altglas praktisch aus.
Wie steht es um die statischen Eigenschaften von Gussglas aus Altglas?
Faidra Oikonomopoulou: Wir haben in unserem Labor zahlreiche Biege- und Bruchtests durchgeführt. Damit wollen wir herausfinden, welche Verunreinigungen und welche Zusammensetzung der Glasscherben zu welchen statischen Eigenschaften des Gussglases führen. Viele Glasbeschichtungen sind diesbezüglich unproblematisch, aber es gibt einige Materialien wie Glaskeramik, die uns große Probleme bereiten.
Telesilla Bristogianni: Insgesamt sind dreidimensionale, gegossene Strukturen in puncto Tragverhalten aber viel fehlertoleranter als Flachglas. Wenn Glasscheiben versagen, liegt das oft an kleinsten Rissen an ihrer Oberfläche, die schnell wachsen und dann zum Bruch führen. Bei gegossenem Altglas können wir dieses Risiko minimieren, indem wir es in eine Schicht aus hochwertigem Glas einkapseln. Unregelmäßigkeiten im Inneren der Glasmasse führen nur selten zum Versagen.
Einige Ihrer Gussglasexperimente stellen Sie auch zur glasstec 2024 aus. Sie haben eine sehr ausdrucksstarke Ästhetik.
Telesilla Bristogianni: Das ist für uns als Architektinnen vielleicht der wichtigste Punkt überhaupt. Glas muss nicht perfekt sein. Es kann Fehler haben, und diese können sehr schön sein. Denken Sie zum Beispiel an die Backofentür in Ihrer Küche: Diese hat eine schwarze Fritte, die Chromoxid enthält. Wenn man sie zusammenschmilzt, wird daraus eine Art grüner, transparenter Schleier im Glas.
Faidra Oikonomopoulou: Das Schmelzen von Glas ist ein wenig wie Kochen. Hohe und niedrige Schmelztemperaturen ergeben völlig unterschiedliche Effekte. Auch die Größe der Scherben und die Geschwindigkeit des Abkühlprozesses haben Einfluss auf das Endresultat. Das gilt auch in statischer Hinsicht: Wenn Sie Glas langsam abkühlen, sodass es voll auskristallisiert, wird es am Ende tragfähiger.
Telesilla Bristogianni: Am Ende möchten wir all unsere Erkenntnisse in eine Datenbank einfließen lassen, aus der hervorgeht: Wenn Sie dieses oder jenes Rohmaterial verwenden und es auf die eine oder andere Weise verarbeiten, können Sie diese oder jene optischen und technischen Eigenschaften erwarten. Genau wie in einem Kochbuch!